Am Anfang meines Jugendroman-Projekts stand eine Erinnerung aus der Jugendzeit. Ein Coaching hatte mich zu dieser identitätsbildenden Erinnerung zurückgeführt. Von da ausgehend hatte ich, mit selbsttherapeutischer Absicht, eine märchenhaft eingefärbte Kurzgeschichte geschrieben.
Ich fühlte mich durch den wertvollen Findling beschenkt und liess mich auf den Prozess ein. So konnte ich bereits bei Abschluss meines Autor-Buches im März 2022 vom Jugendroman-Projekt berichten (Seite 352). Eins gab das Andere. Die Dinge entstehen allmählich. Es brauchte und braucht weiterhin Geduld.
Mit der Zeit wurde aus dem Kreativen Prozess ein immer breiterer Strom, zu welchem viele Zuflüsse etwas beitrugen: Namentlich Musik von damals und auch von jetzt, sodann die
Leben von scheinbar fremden Menschen und die Möglichkeiten dieser Leben. Desweiteren Sondierungen meiner eigenen Vergangenheit, Gespräche mit Freunden und Freundinnen sowie mit
Familienangehörigen. Öfters werde ich auf kuriose Weise berührt durch alte Briefe und Fotos. Ich staune: War das damals wirklich ich? Bin ich noch die Person von dazumal? Wie möchte ich mit den
Erinnerungen, der Veränderlichkeit und den Instabilitäten, die sich über die Zeit hinweg zeigen, umgehen? Was vermag über den Lebenslauf hinweg zu tragen, was bleibt von den Jahrzehnten? Mit
welchen Botschaften und «Wahrheiten» und Welten möchte ich mich auf das Lesepublikum zubewegen?
Dank Handwerk erscheint der Weg des Wachsenlassens als kein Buch mit sieben Siegeln. Er ist begehbar. Es ist nicht nur ein naives Zulassen, sondern auch ein Produzieren, ein
Wissen-Wie, ein Anwenden von Knowhow. Selbstbewusst und gekonnt. Irgendwie tüchtig. Halt eine Arbeit. Ich kann etwas! Heisst es doch, dass Handwerk goldenen Boden habe.
Ich arbeite sowohl mit Bewährtem wie auch mit Neuem: In erster Linie mit meinen Journalen, sodann mit der Schreibsoftware Papyrus und mit dem Fachbuch «Romanwerkstatt» von Hofko et al. (2005).
Mit meinem Wissen, meinem Knowhow und meinem Erfahrungsschatz aus Gymlehrer- und Journalistenzeiten. Mit meinem «Autor-Buch», das achtsame
Inspiration im literarischen Schreiben auf professionellem Niveau begleitet. Ja, dieses von mir zusammengestellte Buch verhilft in der Tat zu einem Dialog mit meinen Ressourcen. Ein Ansatz, den
ich mag und immer wieder gerne wähle.
Mit der Zeit entsteht eine Szenenabfolge. Jede Szene kann für sich alleine stehen, treibt aber auch die Handlung voran. Aus einer Szenenabfolge entsteht eine packende
Bilderfolge, entsteht ein innerer Film, entsteht eine Art Drehbuch. Cliffhanger werden beim Switchen zwischen den Handlungssträngen platziert. Sie erhöhen die Spannung.
Derweil hat sich die Geschichte längst vom Autobiografischen abgekoppelt, hat sich transformiert und ist zu etwas in sich Abgeschlossenem geworden. Ich muss nicht mehr an Personen meines Lebens
denken, wenn ich mich in der Romanwelt bewege. Diese Figuren stehen für sich. Sie sind 100 Prozent fiktional. Gehören der Kreativsphäre an. Helfen mir, weiter in die gewünschte Richtung zu
gehen.
Vertrauen in den Prozess. Vertrauen in den Prozess bedeutet: Geduld haben. Oftmals lösen sich Knöpfe und es taucht Innovation auf, wenn ich mich am wenigsten damit befasse. Wenn
ich am Morgen aufwache oder mich zum Meditieren hinsetze. Es kann auch mal beim Duschen passieren. Wenn ich loslasse, wenn ich in meine eigene Essenz und Substanz eintauche, mich einfach sein
lasse und mich offen und mit wenig Erwartungen frage: «Wie geht es mir?»
Ich werde in meinem Umfeld mehr und mehr als jemand wahrgenommen, der Kreativität betreibt. Das ist aufregend, hat aber auch etwas Unerwünschtes an sich. Ich möchte das nicht pushen, denn ich
habe gerne meine Ruhe beim Schöpferischsein. Ich stelle es mir positiv vor, wohlwollend beobachtet zu werden, mit Respekt und aus der Distanz. Aber auf keinen Fall möchte ich bedrängt
werden.
Soll ich mich an Verlage wenden? Ich komme zum Schluss, dass es das Buch zwar guttun würde. Aber ich spüre auch, dass ich mich dafür noch nicht reif fühle. Ich erlaube mir sogar,
die Unreife zu geniessen – als eine Form von Narrenfreiheit. Lieber ein schlechteres Buch schreiben, aber mein eigen Herr und Meister sein, als den Spass an der Sache opfern. Ist das feige?
Vielleicht. Man kann es so sehen. Es macht aber auch Spass, eigene Fehler in Betracht zu ziehen und sie sich zu verzeihen. Dies ist ein Refugium, wo Spass und Freude leitend sind. Es ist, zuerst
einmal, ein amoralischer, schöpferischer Raum. Ich bin hier völlig frei. Es ist mein eigener Lernraum.
Gerade bei einem Jugendbuch scheint mir die Narrenfreiheit wichtig zu sein. Auch inhaltlich, auch stofflich. Jugendliche - so meldet sich in mir eine Stimme - sollten sich nicht
an Leistungsnormen orientieren müssen. Was ein Grunddilemma in der Schule ist. Adoleszente sollten vor allem experimentieren können. Natürlich betrifft dies insbesondere ihre Erfahrungsräume
ausserhalb der Schule.
Die Energie des Jugendlichen. Die Arbeit am Buch stärkt diese Energie in mir. Sie ergänzt mein Erleben als Erwachsener und unterläuft den Erwachsenen auch. Der Adoleszente wollte nichts von
Kausalitäten wissen. Er wollte überleben, er wollte einen gefüllten Teller, er wollte auf seine Kosten kommen. Da lagen keine Kompromisse drin. Er lief von einem Hammer in den nächsten hinein –
auch weil er wenig Begleitung durch erfahrene Mentoren oder Mentorinnen hatte. Reihenweise Misserfolge und Enttäuschungen gehörten jedoch zum Prozess dazu und formten eine Identität, die mir
heute wichtig scheint.
Oftmals gab es in der Adoleszenz erstaunliche Wendungen. In jenen Zeiten konnten aus Verlierern im Handumdrehen Gewinner werden. Das war in verschiedenen Domänen der Fall: in der Liebe, mit den
Peer Groups, im beruflichen und kreativen Schaffen, im Schulischen, später dann in der Berufslaufbahn…Das Blatt wendete sich immer wieder. Für den Adoleszenten kein Grund, sich zu wundern. Für
den Erwachsenen schon eher eine Herausforderung.
Im kreativen Prozess entsteht Glück – doch es besteht auch die Gefahr, einen Tunnelblick zu entwickeln, letztlich eben doch der Produktorientierung zu verfallen (siehe mein "Autor-Buch", Kapitel 2). Da kann das nicht-produktive, zerstreuende Gegenglück helfen: der bürgerliche Beruf,
welcher erdet und in die Gemeinschaft zurückführt, die Spaziergänge, die sozialen Begegnungen und die alltäglichen Herausforderungen. All das unterstützt beim Loslassen und stellt eine wichtige
Pause vom fokussierten Kreativsein dar. Es relativiert die vermeintliche Grossartigkeit des kreativen Genius und offenbart erst recht die Leichtfüssigkeit und das Geschenk der Ideen und Formen,
welche den Alltag einfach schöner machen.
Letztlich finde ich im Prozess eine alte Freundin. Nämlich eine Einsicht. Ich erinnere mich an die wichtigste und auch immer wieder überraschendste Botschaft meines «Autor-Buchs»: Kreativität in all ihren Ausprägungen will uns ans rechte Leben und Glücklichsein erinnern. Es geht um den Weg. Der Weg ist das
Ziel. Als Kreative stellen wir uns in den Dienst dieses Weges. Nicht unseres Selbst, nicht unserer Konzepte oder Ziele. Und genau das ist das Gesunde daran. Das ist die Frohbotschaft des
Schöpferischen.
So möchte ich den Jugendroman, mein nächstes Buch, entstehen lassen.